Donnerstag, 1. Oktober 2009




312 - Roter Kiesel - Tantra der kleinen Leute





der rote Kiesel –

Begegnung im indischen Wald vor
1ooo Jahren



– ein Fragment am 26. Oktober 1999 –




Diese Geschichte ist eine Ergänzung zu meinen Besuchen der Tempel von Khajuraho. Darüber habe ich geschrieben in    http://tantra-khajuraho-eins.blogspot.com/  und folgenden Blogs.


(von Aryaman, mit Einführung und Liste der anderen Blogs zum Schluß)




... die geschotterte, weiß-staubige Straße nach Panna windet sich durch trockenen Wald nach oben. Der Wald ist zu trocken, wahrscheinlich ist er seit der Unabhängigkeit Indiens und seitdem der Maharaja von Chhattarpur, der früher seine besitzende Hand darüberhielt, seinen pflegerischen Einfluß verloren hatte, von den Landleuten als Viehweide übernutzt worden. Die indische Regierung hat weder viel Interesse noch die Macht, das zu verhindern.

Ich gehe langsam die Straße aufwärts. Tiere sind nicht viele zu sehen, nur ein paar Affen, mal ein wilder Hund und ein paar Sittiche, eine verlaufene Kuh – das ist alles. Früher muß es ein reicher Regenwald gewesen sein, in dem Elefanten und Gaur, Riesenhörnchen und mehrere Affenarten, Leoparden und kleinere Wildkätzchen sowie unzählige Vögel, Schmetterlinge, bunte Spinnen und Käfer, kleine und große Schlangen, kleine und große Blutegel im Gras, bunte Bienen und Hornissen in Riesennestern in den Bäumen und vieles mehr gelebt hatte. Noch vor 5o Jahren war es wohl so.

Stunden bin ich unterwegs. Ab und zu kriecht ein schwerer Laster, schief durch die verrutschten Holzstämme auf seiner Ladefläche, die Straße hoch, oder ein Bus mit schlafenden Indern oder Touristen kommt vorbei – lange Rauchwolken halb verbrannten Kerosins hinter sich lassend. Dann wieder Stille, fast schon Totenstille.


Parallel zur Straße windet sich ein Pfad durch den Wald, und einmal sehe ich einen Trupp von 5o Adivasi dort entlangziehen, die Menschen, die im Walde leben, uralten Völkern angehören, sich nicht zu den Indern zählen und an ihnen kein Interesse haben – sie fühlen sich zurückgedrängt und nicht geachtet.

Es ist ein Wagnis, diesen Weg zu Fuß zu nehmen; wer weiß, wann ich wo ankommen werde, wo ich Wasser und eine Schlafstelle bekommen werde. Leichtes Gepäck trage ich: ein Rucksack mit etwas Kleidung und einer Wasserflasche, ein Stock, um Schlangen oder andere Tiere zu verscheuchen – die es doch nicht gibt –, ehemals weißes Hemd, Hose und Mütze, jetzt eher gelblich rot vom Tropenstaub, schützen den Körper gegen Insekten, Dornen und Sonne.


Der Weg führt mich von Khajuraho her, wo es die berühmten tantrischen Tempel zu sehen gibt, in denen ich mit ein paar überlebenden indischen Tantrikern fantasievolle Nächte verbrachte – hervorgezaubert aus fast vergessenen Traditionen, in diese Zeit geholt aus alten Schriften, die in noch keine moderne Sprache übersetzt worden sind, aufgestöbert in den fast geheimen Bibliotheken einiger alter Maharaja-Familien, gelesen und gedeutet von dem sanskritkundigen Pundit, der noch heute seine Herkunft von dem alten Königsgeschlecht der Chandela ableitet.
Der Pundit leitete denn auch die geheimen Zeremonien, die nachts in den Tempeln stattfanden und bei denen ich als einziger Ausländer teilnehmen durfte – weil mein spiritueller Meister, ein Inder aus dieser Gegend, als ein großer tantrischer Meister gilt.

Den meisten Indern ist Tantra jedoch unheimlich und fremd und unannehmbar, mittelalterlich dunkel. Es ist zu fern, wenn es auch aus den Höhepunkten indischer Geistigkeit stammt und eigentlich im indischen Geschichts- oder Philosophie-Unterricht gehört werden müsste.


Mir ist das zwar nicht unheimlich – hatte schon einiges von meinem Meister gelernt
–, doch was die da in Khajuraho machen, kommt mir recht gekünstelt vor, brauche ich das? Akademisches im Mittelalter. Meine menschliche Natur kann mir das doch auch geben! Wozu dann diese Sanskrit-Akademien? Zu was all diese Rituale, Gebräuche, Regeln, Gedanken ... Ich gehe weiter auf die Suche ...

Auf diesem Weg durch die Berge nahe Panna war ich noch immer angefüllt von diesen Nächten. Es war, als ob ich das "Jetzt" langsam verlor, als ob ich in den Zeiten umherschwimme. Es war, als ob eine frühere Zeit immer schneller auf mich zukam, hinter mir herlief, von hinten an mir zog, mich fast einholte.


Doch als ich mich umsah, ging nur eine einfache Frau hinter mir denselben Weg. Sie war wohl Mitte dreißig und stützte sich auf einen langen Stock; sie trug ein einfaches graulich-weißes Tuch um den ganzen Körper, staubig und etwas verschwitzt. Die Haut der Frau war heller als von den meisten Leuten in dieser Gegend; vielleicht war sie eine Adivasi, gehörte zu einem der Völker, die hier herum in den Wäldern leben.


Lange gingen wir im Abstand von wohl 1oo Metern hintereinander ... Es wurde heißer und die Sonne stand senkrecht, es war Mai, tropischer Sommer. Als ich mich hinsetzte, um auszuruhen, kam die Frau schüchtern näher. Ich versuchte, ihr in die sehr dunklen feucht-glänzenden Augen zu sehen, doch es kam nichts zustande, sie schauten durch mich hindurch, leer und wie aus einer anderen Welt.

Nach ein paar Minuten forderte sie mich durch einen Wink auf, ihr zu folgen. Es ist schon riskant, einfach in den Wald hinter einem so fremden Menschen herzugehen, es gibt nichts zu gewinnen, man kann manches verlieren, sogar das Leben – so waren meine Gedanken. Ich mußte aber mitgehen, war noch nie mit Adivasis zusammen gewesen und es zog mich an. Vielleicht war es noch etwas anderes, das mich zog, wer weiß.


Sie ging voran in den trockenen und raschelnden Wald, ein schmaler Pfad schlängelte sich ein wenig abwärts in ein weites trockenes, grau-laubiges Tal. Wir gingen langsam, wohl eine Stunde, bis zum frühen Nachmittag. Dann roch es ein bißchen nach Frische, nach Wasser, vielleicht ein See – obwohl auf der Karte, die in einem Restaurant in Khajuraho hing, keiner eingezeichnet war.


Der Wald wird nun grüner, die lange vermißten Tiere und Blumen sind hier und werden mehr, je weiter wir gehen. Neben unserem Pfad ein kleiner Bach, ganz klar, und wir trinken vorsichtig und am Ende vertrauensvoll davon. Überhaupt schaut die Frau immer sorgfältig umher, bleibt stehen, hört und scheint sogar wie ein Hund zu wittern.


Meistens sehe ich die Frau von hinten. Leichtes vorsichtiges, achtsames und weiches Gehen, leichte Kleidung: nur ein grobes, eigenartiges, blaßgelbes, halblanges Tuch, das um den Vorderkörper geschlungen ist, mit einer bunten Schnur um den Hals aufgehängt und mit einem noch bunteren geflochtenen Gürtel um den ganzen Leib zusammengerafft. Die langen schwarzen Haare sind zum Zopf geknotet, ein schöner roter Bachkiesel hängt im Knoten.


Und ein frischer Duft nach Gras oder Blumen schwebt wie ein feiner Schleier hinter ihr.


So gehen wir noch ein paar Stunden bis es eine Pause gibt, an einer kleinen Quelle, um die herum Blumen wachsen. Wald- und Kräuterduft; Krebse und Frösche laufen auf dem sandigen Boden in einem Teich, in den das Quellwasser fließt. Blaue Blumen hängen über dem Wasser; lila, rote goldene Wasserjungfern – feine libellenartige Insekten – klammern sich an die Kräuter und Gräser oder schwirren umher.


Im Wald höre ich viele Vögel zwitschern, singen und kreischen. Ein Riesenhörnchen läuft auf einem Ast entlang und schreit kräftig als es uns sieht. In der Ferne der Wälder ruft ein Affe laut und dumpf huh huh huh huh huh. Eine kleine bunte Schlange kriecht weg, ein langer schillernd-grüner Käfer –, und als ich ihn auf den Rücken drehe, schnellt er hoch mit einem Knacken, dreht sich in der Luft, steht wieder auf den Beinen und läuft weg.

An einer schlammigen Pfütze auf dem Weg sitzen Dutzende von schillernden blauen Schmetterlingen, auch gelbe und hellblaue Bienen, dunkelblaue Hornissen – sie trinken wohl.


Nun habe ich mich an diese fremdartige und ungewohnte Frau ein wenig gewöhnt, und es ist gut, daß ich vertrauensvoll mitgegangen bin. Alles ist einfach, es gibt keine Zweifel oder abweichende Gedanken, ich gehöre in diese Natur und sie nimmt mich an so wie ich bin. Ein paar Früchte und Wurzeln sammeln wir uns und essen sie – darunter schließlich auch eine Frucht, die ich nicht kenne und die einen so anderen und besonderen Geschmack hat, daß das Gefühl aufkommt: da bin ich in einem anderen Land, einer anderen Zeit angelangt.


Der Genuß dieser Frucht bleibt, er ist ungewohnt, es entsteht eine andere Welt in den Vorstellungen, ein Duft erscheint und bleibt in mir hängen.


Im Wald kommen wir an einen alten steinernen Tempel. Ich habe schon eine Menge von Tempelruinen in Indien gesehen, viele von ihnen gewiß über 1ooo oder 2ooo Jahre alt. Sie stehen oft an Straßenrändern, in Feldern, im Wald, auch mitten in Dörfern und Städten. Doch dieses ist etwas anderes. Der Stil ist unbekannt, ungewohnt, un­indisch, und der Tempel ist sehr gut erhalten. Wir kommen heran und es zeigt sich, daß es erst nur ein Tor ist, ein fantastisches Tor, aus grünem Stein gehauen, fein geschliffen, und an den Außenwänden sind Ornamente eingehauen – ähnlich wie in Khajuraho, doch es sind andere Muster und Themen, auch eine andere Steinart.

Das Tor ist nur für Menschen gemacht – was sollte hier auch sonst ankommen, auf diesem Pfad – etwa Elefanten? Wir gehen durch das Tor, es dauert lange, es ist still innen, feucht und kühl. In der Mitte erweitert sich der Durchgang, ein paar kleine Fenster lassen etwas Licht herein und ein neuer, leicht betäubender Duft hängt zwischen den Wänden. Hier treffen wir zwei Frauen in langen weißen Gewändern. Sie sagen nichts, beriechen nur unsere Körper, die Frau sagt etwas zur anderen, wir werden mit ein paar Tropfen eines Duftöls gerieben und gehen weiter. Am Ende wieder dieser Waldpfad.


Es ist mir als ob wir geheiligt worden wären, – in einem Heiligen Land gingen. Die Welt ist jetzt anders: wir treffen Menschen – ähnlich wie meine Führerin. Sie sitzen still oder machen Musik oder eine kleine Handarbeit, reden wenig – doch was sie sagen, verstehe ich, eigenartig, es ist eine mir unbekannte Sprache, und doch verstehe ich alles. Im Wald-Tempel ist wohl was mit mir geschehen.


Jemand spricht mich an, und ich kann antworten, in derselben Sprache. Ich komme mir vor wie verwandelt, verzaubert. Die Frau leitet mich in ihre Hütte im Dorf, die einfach aus geflochtenen Palmblatt-Matten gemacht ist. Innen sind zwei große Kinder, die herankommen, ohne Scheu und Neugier, einfach so. Sie nehmen mir meine Kleider ab. Dann streichen sie mit ihren Händen meinen Leib – eine sehr liebevolle Begrüßung. Sie nehmen meine Hände und lehren mich, dasselbe mit ihnen zu tun.

Dann geben sie mir von ihren eigenen Kleidern – einfache Tücher um den Leib wie ich es schon gesehen hatte. Alle Menschen sind hier gleich gekleidet, manche länger, manche kürzer, wohl nach eigener Lust.


Die Kinder geben mir neue Düfte, und dann etwas zu trinken: Wasser mit etwas Fruchtsaft.


Den Namen der Frau habe ich vergessen – oder hatte sie gar keinen? Ich nenne sie hier Leela [li:la gesprochen], das indische Wort für göttliches Spiel.


Nun lebe ich eine ungewisse und lange Zeit hier bei diesen schönen Menschen. Sie öffnen sich mir und zeigen mir ihr Inneres. Meistens sind sie still, haben wache aufmerksame Augen und hören alles, ohne darüber lange Gespräche zu beginnen. Sie sind einfach und fein – manchmal streicheln sie einander, umarmen sich, lachen und weinen auch mal miteinander. Sie singen und tanzen oft, auch zwischen der Arbeit, und sie lachen oft, auch während sie gerade eine Gottheit anbeten, wie mir scheint.


Arbeiten sie überhaupt? Das meiste gibt ihnen der Wald umsonst und leicht erhältlich. Ein wenig bauen sie in Gärten an: Kräuter, Obst, Gemüse. Alles wächst schnell und sieht gesund aus.


Wie stehen meine Gastgeber zu den Tieren? In Khajuraho hatte ich gesehen, daß den Landleuten die Waldelefanten Sorgen machen, die in die Gärten und Felder einbrechen und manche Frucht mitnehmen und den Rest zertrampeln – einfach weil sie so groß sind, einfach weil sie es nicht anders kennen. Die Bauern sind wohl oft zornig über sie, aber sie hassen sie nicht, haben nie den Gedanken, sie zu vernichten, schließlich gehören wir alle zusammen und müssen einander beschützen. Und wir Menschen haben doch ein paar mehr Einblicke als die Elefanten ...


Und hier gibt es eine Art Übereinkommen zwischen den Menschen und den Elefanten – es ist die Gelassenheit und die Zeichen, daß man von den Tieren eigentlich nichts will. Man läßt sich in Ruhe. Und wenn so ein Elefant den Gärten mal zu nahe kommt, geht jemand hin und geleitet ihn wieder in eine andere Richtung – ohne Geschrei.

So ist es auch mit den Gaur, das sind große graue Wildkühe mit weißen Füßen und einer lustigen weißen Pony-Frisur, mit den Büffeln und Bären – große Tiere, die schon Furcht erregen können. Man geht sich besser aus dem Weg. Denn eigentlich will kein Tier kämpfen – etwas anders sind Tiger und Leoparden, die manchmal auch Menschen überfallen um sie zu essen. Doch auch sie wollen nicht kämpfen sondern ihre Beute fast umsonst haben: sich anschleichen oder auf die Lauer legen – dann ein Sprung und ein Schlag mit der Pranke, und die Beute ist sofort tot. Meine Freunde wissen aber, wie man diesen Tieren aus dem Weg gehen kann – und sie tun es.


Und die kleinen Tiere – große und kleine Schlangen, Giftspinnen, Skorpione, Hornissen und ähnliches? Oder die kleinen und großen Blutegel und die Zecken? Sie alle sind kein Problem – man lebt nebeneinander und achtet aufeinander und achtet sich. Das ist alles.


Ab und zu gibt es ein Opfer an das Waldleben – auch das ist Teil des Lebens und wird hingenommen, wenn auch in Trauer oder mit Schmerzen.


Und die Dämonen, Götter, Naturgeister? An den Tempeln von Khajuraho sind viele Götter und Avatáre abgebildet, ich habe über sie gehört und gelesen. Auch Dämonen gibt es dort, Shardul und andere Namen wurden ihnen gegeben. Doch von Naturgeistern habe ich nichts gesehen. Hier bei den Adivasi haben sie nur die Naturgeister und den einen großen Gott, der über alle Geister und Lebenden herrscht. Sie haben auch für alle diese Geister kleine Opferstellen, doch für den Gott haben sie nichts: wie kann ich kleines Wesen diesem großen Gott etwas opfern? Ich gebe mich selbst hin, das ist das Größte, das ich habe, mehr habe ich nicht – sagt mir eines von Leela´s Kindern.


Leela nimmt mich einmal morgens früh an die Hand und führt mich in den Wald; ein schmaler Pfad, der sich hindurchschlängelt. Es geht hoch auf einen Berg, dahinter wieder etwas hinunter. Wir gehen in ein flaches und weites Flußbett, es führt fast kein Wasser, besteht nur aus nacktem grauen Fels. In den Mulden liegen Kiesel, die meisten rot mit feinen schwarzen Adern, rundlich vom Wasser geschliffen – so einen trägt Leela im Zopf. Leela führt mich im flachen felsigen Flußbett entlang ein paar Schritte leicht aufwärts – und dann sehe ich ein Wunder: der Fels hört mit einer breiten Stufe auf und bricht senkrecht nach unten ab. Tief unten im halbrunden Kessel steht etwas grün-trübes Wasser. Große braun-rote Bussard-Vögel kreisen unter mir in der Luft – unter mir!

Wir gehen wieder zurück, das graue Flußbett leicht abwärts. Bald fließt Wasser. Die Menschen haben am Ufer kleine Gärten. Alles ist so fruchtbar, es gibt kaum Arbeit, die Früchte wachsen fast ohne Pflege. Ein paar Leute sind hier und scheuchen freundlich und gelassen die Affen fort, manchmal müssen sie auch einen Elefanten oder einen Gaur wo anders hin leiten, damit sie ihnen nicht die Pflanzen zertreten.


Ein langer Weg bis mittags, dann erreichen wir ein helles Waldtal mit einem kleinen, flachen Flüßchen, es schlängelt sich zwischen einzelnen, wunderlichen Felsen hindurch, manchmal getrennt in zwei oder drei Arme, dann wieder fließt er durch einen Teich, in den sich große Bäume hinabbeugen. Aus den Bäumen sind große rote und orange Blüten gefallen, die auf dem Teich schwimmen.


Wir gehen an diesem Flüßchen entlang, hinauf in seinen Quellbereich. Dort erweitert sich das Tal zu einem Kessel, und weit hinten wird er umgeben von einer hohen hellen Felsenwand. Hier ist die Quelle: eine groß geöffnete Höhle, aus der das Wasser langsam herauskommt. Im Eingang der Quellhöhle gibt es Farne und andere Kräuter. Und außen stehen hohe schattige Bäume; es ist kühl dort und so angenehm, wie ich es mir nach all den heißen Wochen in Khajuraho gar nicht mehr vorstellen kann.


Es ist hier im Wald eigenartig still – nur das Summen der Insekten, das Rascheln von kleinen Vögeln, von Schmetterlings- und Libellenflügeln.


Leela und ich
gehen im Wasser in die Quelle hinein. Tiefer in die Höhlen-Halle, hier ist das Licht schwach und grün. Wir hören das leise Fließen von weit hinten in der Höhle.

Ein paar besondere, große Schmetterlinge – schwarz mit etwas hellblau im Flügel – flattern weich und leise um uns herum und scheinen uns zu begrüßen. Langsam fliegen Fledermäuse umher – wir stören sie nicht.
Unter uns scheint ein schwaches blaues Licht, als ob dort eine andere helle Welt aus dem Wasser schiene.

Es duftet ganz leicht nach Pflanzen und reinem Wasser, wir tauchen ganz ins Wasser ein, und nun duften unsere Körper ebenso. Es ist so still wie ganz tief in der Erde, vielleicht wie ganz tief in einem ruhigen, schlafenden Mutterleib, wir sind zuhause.


Leela und ich sind sowohl Frau und Mutter und Mann als auch Kinder, die in diesem Leib ruhen.


Langsam gehen wir tiefer hinein, aber es wird nicht kälter und nicht dunkler. Wir gehen sehr langsam und vorsichtig – um nicht andere Lebewesen zu erschrecken, die hier sein mögen.

Leela fasst meine Hand, sie sagt "nun mußt du dich dicht an mich halten, ich muß dich schützen. Als Mann allein wäre es zu schwer. Und du mußt mich auch schützen, denn als Frau allein ist es auch sehr schwer." Hier steht das Wasser und es ist ganz still. Es ist so still, daß nur noch die Geräusche aus dem Körper leise zu hören sind.


Wir bleiben stehen. Da ist eine Sandbank, und wir steigen hinauf. Aus ein paar Steinen wurde mal eine alte Feuerstelle gelegt, und Überreste von einem kleinen Feuer sind da.


"Wir wollen ein kleines Fest feiern" sagt Leela, irgendwie kann sie ein Feuerchen anzünden. Es ist violett und wirklich kaum größer als eine große Blume.


"Laß von diesem Wasser etwas über meinen Körper fließen, dann werde ich wie ein Wasserwesen." Und sie träufelt ein paar Tropfen auch über meinen Leib und streicht die nassen Stellen ganz sanft mit zwei Fingern.

"Trink von diesem Wasser, hier ist es ganz besonders", und wir beide nippen etwas davon. – "Und iss etwas von diesem Kraut, und alles wird noch heller und klarer." – "Nun berühre meinen Körper, und deine Hände werden ganz fühlsam, ganz empfindsam." – "Und nun rieche an meinem Körper, überall, wo es schön ist, und alles in dieser Quellhöhle duftet nach mir. Und ich höre und fühle und rieche dich, und für mich ist diese ganze Höhle erfüllt von dir."

Diese ganze Höhle ist erfüllt von dir und von mir.


Wir sitzen nackt auf dem Sand, und Leela zeigt mir, wie ich mir vorstelle, wie ein Lichtstrahl unten aus meinem Körper nach unten hinausstrahlt in den Sand, in die Tiefen unter mir ausstrahlt. Ihr ergeht es ebenso. Und dann sagt sie, "atme leise und fühle, wie der Strahl beim Ausatmen tief in die Erde eindringt, und wie er beim Einatmen wieder zurückkehrt, wieder in deinem Körper ist. Er bringt etwas von der tiefen Dunkelheit, von der dunklen Unendlichkeit mit, das ist Heimat, weibliche Heimat."


Dann sagt sie das vom Atmen: "der Atem fließt leise und duftend in deine Nase, und duftend zieht er tiefer und erfüllt deine Brust, ganz. Nun fühlst du dich voller Leben. Und dann läßt du ihn wieder los, du erschlaffst, der Duft ist weniger geworden, deine Brust ist leer. Es ist wie Sterben, ausatmen ist ein ganz kleiner Tod."


Dann vom Hören: "leise, leise fließt das Wasser, laß diesen beweglichen Laut in deine Ohren hinein, laß sie hineintröpfeln, hineinfließen in die Tiefen deines Kopfes. Dort hörst du das alles." Und tief im Kopf fließt der Fluß, ganz leise und für sich.


"Du hörst meine Stimme, sie ist hell und fein, nimm sie ganz auf und laß sie tief in dich hineinsinken. Du freust dich, meine Stimme zu hören, sie ist dir sehr nah und verwandt. Sie ist ein Teil von dir. – So ist es nun auch mit mir: ich höre deine rauhe und doch weiche tiefe Stimme und genieße sie, es gibt keine schönere Stimme. Sie dringt tief in mein Hören, summt in meiner Brust, in meinem Unterkörper. Sie erregt ein Schwingen in mir, sie schwingt brummend dort, wo der Strahl aus mir in die Erde hinabstrahlt."


"Nun tasten wir unsere Körper an, streicheln langsam an ihnen entlang, wir berühren sie nicht einmal, halten die Hände einen Finger breit im Abstand von der Haut." Ich fühle die Kraft, die aus Leela´s Körper in meine Hände strahlt, und ich fühle auch, wie meine Hände etwas ausstrahlen und ihre Haut das aufnimmt. Langsam umfahren wir so unsere Körper, mal den eigenen, mal den anderen.

Alle Sinne sind lebendig, spüren, sind weich und aufmerksam. Wie ich eine Hand in der Nähe ihres Herzens hebe, durchwärmt es mich und es kommt eine große Freude über mich. Wir halten unsere Hand gegenseitig vor das Herz. Die Herzen beginnen heftig und laut an zu schlagen und wir müssen tief atmen.

Nun verbeugen wir uns tief voreinander und begrüßen die Frau in dir, den Mann in dir.


Leela legt meine linke Handfläche ganz tief vor ihren Unterleib und sagt, "laß ganz leichte und weiche Lichtstrahlen aus deiner Hand in mich strömen", und sie tut es auch mit mir. So bleiben wir lange Zeit. Unser Atem geht ganz leicht, ohne Anstrengung. Unsere Körper fühlen sich so leicht und frei an, ganz hingegeben, ganz hingegeben dem anderen Körper, der da vor mir sitzt, ganz hingegeben der anderen Hand, die mich berührt und Strahlen aussendet.


Später nimmt sie meine Hand und hält sie vor die Mitte ihrer Brust und läßt sie dort liegen – mit tiefer Liebe fühle ich ihr Herz, fühle die Schönheit ihrer Brüste, die Weichheit ihrer Haut. Leela legt ihre Hand an meine Brust, sie sagt, "dein Herz ist so stark, deine Muskeln sind so stark, dein Atem ist stark und ruhig und ganz männlich – mein Atem ist weiblich, merkst du es? Fühlst du das Weib in mir? Fühlst du wie das Weibliche, die Erde, die Mutter in mir bebt?"

"Und fühlst du die Männlichkeit in dir? Das ist viel schwerer," sagt sie, "ein Mann ist so allein, er hat nicht die Nähe zur Mutter, zur Erde, zur Schöpfung wie eine Frau sie hat. – Doch deine Männlichkeit strahlt aus dem Herzen aus, und aus deinem Lingam, der sich danach sehnt, in meiner Yoni zuhause anzukommen, sich meinem Leib mitzuteilen, in meinen Leib einzusinken."


"Ich spüre den Mann in dir, wie er aus dem Herz, aus dem Lingam, auch aus dem Ajna, aus dem Dritten Auge in mich strömt, ja eindringt. Ich gebe mich diesem starken Strahlen und Strömen hin. Ich brauche deine Strahlen, sie machen mich ganz zur Frau – und dein Geben macht dich erst richtig zum Mann."


So sitzen wir eine Weile, langsam legt Leela ihre Schenkel um meinen Unterleib, umschlingt meinen Leib, und ich fühle die starken, weichen Schenkel, die Haut, die Bewegung, das Beben, die Lebendigkeit ... so sitzen unsere Körper einander gegenüber, Leela´s Leib sitzt auf meinen untergeschlagenen Schenkeln.
... wir rücken einander immer näher. Erst ganz unten, spüren nur die Haare aneinander, Leela lädt meinen Lingam ein, tief in ihren Leib hineinzukommen, in die Wärme und dunkle Weichheit, umfaßt ihn mit dem dunklen Raum ihres liebenden Leibes. Wir bewegen uns ganz wenig, gerade so viel um uns zu spüren. Wir sind sehr langsam – wie Meditierer, und wir sind Meditierer.

Langsam, langsam legen wir die Unterleibe, die ganzen Körper aneinander, spüren, wie Wärme und Liebe und Kraft und Licht hin und her strahlen, von ihr zu mir, von mir zu ihr – zwischen unseren Körpern. Es ist kühl, es ist wie ein kühles Feuer in uns und um uns herum – Feuer, brennend aber kühl, nicht heiß. Das Licht der Höhle ist blau, wie aus allen Ecken kommend. Ganz leicht fließt das Wasser um uns herum, und der Laut des Fließen´s fließt auch in unseren Körpern.

Wir fühlen uns nun endlich Eins mit dem eigenen Körper, ja sogar mit dem anderen Körper. Wir fühlen uns Eins mit der ganzen Höhle, mit dem ganzen Berg, dem ganzen Wald, der ganzen Welt. Wir sind Eins mit allem.


Draußen muß es Nacht sein, aber hier in der Höhle, bei uns, ist das Licht so geblieben wie am Anfang, hellblau ohne Herkunft oder Richtung. Diese Stille in uns ...


Nach langer, langer Zeit läßt Leela ihren Körper von meinem. Wir liebkosen unsere Körper, unsere Haut, unsere Yoni und Lingam, unsere Gesichter, ganz leicht mit zarten Händen und zarten Stimmen. Zarte Stimmen hören wir nun auch von draußen: Nachtvögel singen leise. Langsam steigen wir ins Wasser, tauchen tief ein und genießen wie das Wasser unsere Körper umgibt.

Still ist der Mondschein zwischen den hellen Sternen. Ein leichter warmer Wind umstreicht uns, und mein Körper genießt diese Berührung. Erfüllt gehen wir Hand in Hand durch den Wald und die Hügel bis Leela einen Platz findet, an dem wir schlafen, umhüllt von unseren Tüchern und dicht aneinander.


Ich wache auf, wie meine Füße und Beine gestreichelt und massiert werden. Es ist so schön, ich mag die Augen noch nicht öffnen. Es ist schon hell, ich höre leise Kinderstimmen, ein paar Kinder sind gekommen, sitzen nackt herum und streichen und liebkosen unsere Körper. Leela freut sich auch an den Kindern und grunzt genießend. Sie legen unsere Kleider zur Seite und streichen über die ganzen Körper, es ist warm und zwischen Wolken sonnig, wir liegen im Schatten eines duftenden Baumes mit großen roten Blüten.

Um uns fliegen Schmetterlinge und Libellen, kleine bunte Vögel schwirren umher und stecken ihre krummen schlanken Schnäbel in die Blumen. Nun beginnen die lauten Kuckucke zu schreien und schrecken uns aus der gemütlichen Ruhe.


Leela geht ins Dorf und zieht mich mit und sagt, nun müssen wir wieder im Garten hinter dem Hügel arbeiten, wir holen uns ein paar Früchte für den Abend. Die Kinder laufen mit. Sie haben sich bunte Tücher um die Schultern gehängt, die im Laufen umherfliegen und die schönen Körper sehen lassen.







Zum Schluß eine Einführung: Zwei Mal habe ich mir Khajuraho und seine Tempel angesehen und bin in der umgebenden Landschaft herumgefahren, habe etwas Literatur gelesen und mit Einheimischen gesprochen. Darüber gibt es einige Blogs, die Adressen habe ich unten aufgeschrieben.

Die in dieser Geschichte „der rote Kiesel – ...“ genannten Orte und die Naturbeschreibungen – einschließlich der roten Kiesel selbst – entsprechen der Wirklichkeit. Ob die Adivasi damals so waren wie beschrieben, weiß ich nicht.

Khajuraho war vor 1ooo Jahren die Hauptstadt des Reiches Jejaka-bhukti und hieß damals Khajuravataka, Garten der Datteln. Die Tempel waren tantrisch in einer sehr akademischen Form und hatten wahrscheinlich eine therapeutische Aufgabe um den Besucher auf die Begegnung mit der Gottheit vorzubereiten, was manchmal Tage oder Wochen (oder gar Monate) gebraucht haben mag. Vielleicht ähnelte diese Form dem, was heute in Pune (Indien) als Osho Multiversity besteht.

Dieser Bericht über den roten Kiesel ist eine Art Anti-Khajuraho-Geschichte, ich meine: ein Loslassen vom akademischen Tantra und den daran gebundenen spirituellen Therapien, ein Fallenlassen in unsere wahre Natur.



Den hier abgebildeten roten Kiesel haben ich in der Nähe von Khajuraho gefunden, doch man kann sie überall bis hin zur Bengalischen Bucht finden.


Aryaman





Die Gesamtübersicht über alle meine Blogs findet ihr hier:
002 - neue Gesamtliste:
http://mein-abenteuer-mein-leben75.blogspot.com/

  


Damit Ihr meine verschiedenen Berichte/Blogs über Khajuraho finden könnt, gebe ich Euch das folgende Inhaltsverzeichnis an, das ist eine Weiser-Liste mit den jeweiligen Blog-Adressen:

(Die Zahlen dienen meiner eigenen Übersicht)



    Dieser Blog, der erste Zugang, das Inhaltsverzeichnis:
301 - Khajuraho-Tempel  -  
Tantra, spirituelle Erotik
http://khajuraho-mein-tantra.blogspot.de/


    Den ersten Blog, die Allgemeine Einführung, findet ihr in  
302 - Khajuraho Tantra - EINS: 
http://tantra-khajuraho-eins.blogspot.com/


    Der nächste Blog  
303 - Khajuraho Tantra - ZWEI (im Shiva-Kandariya Tempel) ist hier:
http://tantra-khajuraho-zwei.blogspot.com/


    Dann kommt der Blog 
304 - Khajuraho Tantra - DREI a (im Shakti-Jagadamba Tempel) hier:
http://tantra-khajuraho-drei-aaa.blogspot.com


    Zwischen-Blog 

305 - Khajuraho - Begegnen der Inneren Frau - auch erlebt im Jagadamba:
http://khajuraho-innere-frau.blogspot.com/


    Die letzten Erlebnisse im  Jagadamba-Tempel

306 - Khajuraho - Tantra DREI b (weiter im Shakti-Jagadamba Tempel) hier:
http://tantra-khajuraho-drei-bee.blogspot.com/


    Der Blog 
307 - Khajuraho - Tantra VIER, die Sharduln:
http://khajuraho-shardul.blogspot.com/


    Der Blog  
308 - Khajuraho - Tantra FUENF
 – die mittelalterliche Kleidung, die Wickelstrümpfe,
 die eigenartige Kleidung der Leute auf den Tempelwänden:
http://wickelstruempfe.blogspot.com/


    Der Blog  
309 - Khajuraho - Tantra SECHS, Diskussion:
http://tantra-khajuraho-fuenf.blogspot.com/

    Der Blog  
310 - Khajuraho - Tantra SIEBEN, Zitate:
http://tantra-khajuraho-sieben-osho.blogspot.com/

    Der Blog  
311 - Khajuraho - Tantra ACHT, Literatur-Liste:
http://tantra-khajuraho-acht-literatur.blogspot.com/

    Der Blog 
312 - Khajuraho - Tantra NEUN:
"Der Rote Kiesel" - eine Fantasiegeschichte in den Wäldern rund um Khajuraho:
http://der-rote-kiesel.blogspot.com/




    Der Blog  über das Land um Khajuraho

313 - Khajuraho - Tantra ZEHN:
Das Land um Khajuraho - wie es heute aussieht:
http://tantra-khajuraho-zehn.blogspot.com

    Der Blog mit Garuda
314 - Khajuraho - Garuda meine mystische Ankunft in Khajuraho ELF:
(Garuda ist ein mystischer Vogel in Asien)




 Fremde Khajuraho-Blogs:
von ffranz mit meinen Kommentaren:


501 - Meine Wurzeln in Indien:







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